Inhaltsverzeichnis:
- Vorschlag aus dem aktuellen Koalitionsvertrag
- Eugen Brysch warnt vor Doppelbelastung der Patienten
- Andreas Gassen sieht Versorgungsengpass
- Aydin Ilker und Doris Höpner befürworten das neue System
- Hintergrund: Abschaffung der Überweisungspflicht 2009
- Zeitplan weiter unklar
Vorschlag aus dem aktuellen Koalitionsvertrag
Ein Vorschlag aus dem aktuellen Koalitionsvertrag von SPD und Union sorgt für Diskussionen: Künftig sollen Patientinnen und Patienten vor einem Facharztbesuch zunächst eine Hausarztpraxis aufsuchen müssen. Erst nach einer Überweisung durch die Hausärztin oder den Hausarzt wäre ein Termin bei einer Fachärztin oder einem Facharzt möglich. Das sogenannte Primärarztsystem soll für mehr Ordnung im Gesundheitssystem sorgen, längere Wartezeiten verhindern und die Behandlungen besser koordinieren. Viele medizinische Fachverbände schlagen jedoch Alarm.
Eugen Brysch warnt vor Doppelbelastung der Patienten
Eugen Brysch von der Deutschen Stiftung Patientenschutz lehnt das Vorhaben entschieden ab. Er weist darauf hin, dass die Wartezeit für Patientinnen und Patienten doppelt so lang werden könnte – einmal beim Hausarzt, danach beim Facharzt. Besonders in Regionen wie Berlin und Brandenburg nehmen viele Hausarztpraxen keine neuen Patientinnen und Patienten mehr auf.
Ein weiteres Problem: Viele Menschen haben gar keinen festen Hausarzt mehr. Der Umweg über überlastete Hausarztpraxen könnte also gerade für chronisch Kranke oder ältere Menschen gravierende Folgen haben. Brysch betont: „Das geht immer zulasten derer, die bereits jetzt auf hausärztliche Betreuung angewiesen sind.“
Andreas Gassen sieht Versorgungsengpass
Auch die Kassenärztliche Bundesvereinigung meldet Kritik an. Ihr Vorstandsvorsitzender Andreas Gassen warnt vor einer Überlastung der hausärztlichen Versorgung. Aktuell gäbe es 73 Millionen gesetzlich versicherte Menschen in Deutschland. Würden alle zunächst zum Hausarzt gehen müssen, käme es zu einem logistischen Problem.
Vor allem in ländlichen Regionen wären viele gezwungen, lange Wege in Kauf zu nehmen. Gassen nennt das Beispiel Brandenburg: „Wenn der Hausarzt 50 Kilometer südlich und der Facharzt 50 Kilometer nördlich liegt, müssen Menschen vorher tanken. Sonst wird es schwierig.“ Er befürchtet zudem, dass eine solche Regelung das System langsamer statt effizienter macht.
Aydin Ilker und Doris Höpner befürworten das neue System
Hausarzt Aydin Ilker aus Berlin zeigt sich offen gegenüber dem neuen Modell. Er erwartet zwar mehr Arbeit, sieht aber in der besseren Steuerung der Patientenbewegungen auch Chancen. Ilker spricht von ausufernden Kosten und langen Wartezeiten, die durch das neue System besser kontrolliert werden könnten.
Unterstützung kommt auch vom Hausärzte-Verband Berlin und Brandenburg e.V. Die Vorsitzende Doris Höpner sieht in der geplanten Änderung einen wichtigen Schritt zur Stärkung der hausärztlichen Versorgung. „Wir betreuen unsere Patientinnen und Patienten ganzheitlich“, erklärt sie. Sie betont, dass durch eine zentrale Steuerung unnötige Facharztbesuche vermieden werden können. Das entlaste nicht nur das System, sondern komme auch wirklich kranken Menschen zugute.
Hintergrund: Abschaffung der Überweisungspflicht 2009
Die Pflicht zur Überweisung wurde bereits 2009 abgeschafft. Ziel war damals eine stärkere Patientenfreiheit. Die Maßnahme war Teil einer großen Gesundheitsreform unter der damaligen Bundesregierung von CDU/CSU und SPD. Seitdem konnten Patientinnen und Patienten ohne Überweisung direkt Fachärztinnen und Fachärzte aufsuchen.
Allerdings führten diese freien Zugänge auch zu Nachteilen:
- Zunehmend hohe Kosten
- Mehr unnötige Arztbesuche
- Längere Wartezeiten für dringende Fälle
Diese Punkte sind nun zentrale Argumente für die Wiedereinführung der Überweisungspflicht.
Zeitplan weiter unklar
Noch ist nicht entschieden, ob das neue Primärarztsystem tatsächlich eingeführt wird. Der Vorschlag steht im aktuellen Koalitionsvertrag, über den die SPD-Mitglieder bis zum 30. April abstimmen. Ob und wann das System kommt, hängt vom Ausgang dieser Abstimmung ab. Auch der Zeitpunkt der Umsetzung ist weiterhin offen.
Quelle: Tagesschau, webrivaig.com/de